Uncodierte, transparente Arbeitszeugnisse

  • Was ist ein uncodiertes Arbeitszeugnis?
  • Was versteht man unter der anzuwendenden sprachlichen Brückentechnik?
  • Warum ist ein Gütesiegel beim Arbeitszeugnis sinnvoll?

Antworten:

Mehrdeutige Formulierungen dürfen in einem Arbeitszeugnis nicht vorkommen. Die juristisch unumstrittene Forderung, Wahrheit vor Wohlwollen, bedeutet für verantwortungsbewusste Vorgesetzte, dass diese auf die herkömmlichen Floskeln und Codierungen beim Verfassen von Zeugnissen bewusst verzichten. Umsichtige Führungskräfte beachten und anerkennen die weiteren Zeugnis-Kriterien: Vollständigkeit, Einheitlichkeit, Individualität und Klarheit. Damit wird das Arbeitszeugnis zu einem wichtigen Führungsinstrument für vernetzt denkende Arbeitgeber.

Codieren bedeutet eine Nachricht (Arbeitszeugnis) mit Hilfe eines Codes verschlüsseln oder in eine andere sprachliche Form bringen. Die beim Codieren verwendeten Codes gehören zu einem System, das dem eingeweihten Leser (Personalverantwortliche, Vorgesetzte) anzeigt, was (verschlüsselt) ausgesagt werden möchte. Es gibt Vorgesetzte, die behaupten allen Ernstes, noch nie Codierungen gesehen zu haben. Sie glauben daran, dass es solche gar nicht gibt.

Diese billige Ausrede kann alleine durch die unzähligen Publikationen in Sachen Arbeitszeugnisse widerlegt werden. Moderne Vorgesetzte halten sich an das Gesetz und nehmen den im Obligationenrecht Art. 330a festgehaltenen gesetzlichen Auftrag wahr, Leistung und Verhalten der im Arbeitszeugnis zu qualifizierenden Angestellten zu beschreiben. Ein allfälliges Auslassen der Leistung und/oder des Verhaltens im Arbeitszeugnis verletzt die Vollständigkeit und die Klarheit. Ein solches Weglassen kommt für eingeweihte Führungskräfte einer Codierung gleich und bedeutet, hier war es so schlecht, dass keine Worte mehr gefunden werden konnten.

Vorgesetzte sollten ihren gesetzlichen Auftrag auch im Interesse ihrer Angestellten dringend wahrnehmen. Die sprachliche Brückentechnik ist erlernbar und hilft diesem Auftrag nachzukommen. Sie bedeutet eine Alternative, wenn es schwierig wird beim Formulieren. Die Brückentechnik unterstützt die Zeugnisverfasser negative Botschaften klar hinüberzubringen. Ein faires sprachliches Vorgehen, mit bewusst eingesetzten Brücken, führt zu moderat gehaltenen Aussagen im Arbeitszeugnis. Dies ist die Grundlage, dass auch der vom Zeugnis betroffene Mitarbeiter motiviert wird, an seinen noch bestehenden Schwächen zu arbeiten.

Beispiel einer knallharten, unzulässigen Formulierung:

Herr X war nicht in der Lage, der Erwartungshaltung unserer Kunden zu entsprechen.

Kommentar: Dies würde ja bedeuten, dass es immer so gewesen wäre. Das ist insofern problematisch, weil der Angestellte in dieser Hinsicht wohl kaum und ausschliesslich während der gesamten Anstellungsdauer versagt hat.

Die entsprechende Codierung für das vorangehende Beispiel:

Mit den Leistungen waren wir zufrieden.

Kommentar: Alle wissen, wenn diese Codierung der Zufriedenheit benützt wird, interpretiert man, dass der Arbeitgeber (nur) zufrieden war. Durch die codierte Lesebrille wird aufgenommen, dass der Arbeitgeber praktisch nicht zufrieden oder eben unzufrieden war. Wenn dann zu allem Elend noch zusätzlich nichts über das Verhalten ausgesagt wird, dann wird's gemeingefährlich. Eine so knapp gehaltene Zeugnisaussage lässt Spekulationen Tür und Tor offen und ist unanständig für einen Arbeitgeber. Hier wird der gesetzliche Auftrag (OR 330a) einfach negiert!

Die mögliche angewandte Brückentechnik für das vorangehende Beispiel nach dem Brückentechnik-Schema "Positiv (+) / negativ (-) / positiv (+)":

(+)Herr X war ein sehr höflicher, aufmerksamer und angenehmer Angestellter, dessen Verhalten jederzeit korrekt, zuvorkommend und einwandfrei war. Seine Arbeitsleistungen waren sehr gut. (-) Manchmal hätten wir uns gewünscht, dass es Herrn X vermehrt gelungen wäre, der hohen Erwartungshaltung unserer französisch sprechenden Kundschaft noch besser zu entsprechen. (+) Die von Herrn X eingeleiteten Ausbildungsmassnahmen und seine Entscheidung zur Neuorientierung stimmen uns zuversichtlich, dass Herr X diese heute noch bestehende Herausforderung mittelfristig überwinden wird. Wir danken ihm für seine Mitarbeit und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.

Kommentar: Es gibt keine ausschliesslich schlechten Menschen. Wir alle haben Stärken und Schwächen. Wenn es Menschen gelingt, an ihren Schwachstellen zu arbeiten, können diese zu Stärken werden. Umsichtige, verantwortungsbewusste Arbeitgeber nehmen ihre Verantwortung mit der angewandten Brückentechnik wahr. Das abschliessend angebrachte Gütesiegel verleiht dem betroffenen Arbeitnehmer wie möglichen Arbeitgebern Sicherheit, das vorliegende Arbeitzeugnis nicht über sieben Ecken herum lesen und interpretieren zu müssen. Ein solches Gütesiegel kann als Bekenntnis lauten:

Uncodierte Arbeitszeugnisse:

  • Unsere Arbeitszeugnisse sind transparent und uncodiert abgefasst.
  • Wir bekennen uns zu uncodierten und transparenten Arbeitszeugnissen.

Arbeitszeugnisse fassen einen abgelaufenen Prozess zusammen. Es gehört zur vornehmen Pflicht jedes verantwortungsbewussten Arbeitgebers, bei anspruchsvollen, schwierigen Ausgangslagen die sprachliche Brückentechnik als Ausdruck einer wohlwollenden, moderaten Haltung einzusetzen. - Codierungen, automatisch generierte Zeugnisse und andere eingesetzte Schnelldienste sind umsichtigen Arbeitgebern ein Gräuel. Wir verweisen an dieser Stelle auf die Zeugnis-Hotline, die allen Arbeitgebern offen steht.

Interview vom 15.02.2011

Keine Diagnosen im Zeugnis

Publikation:
Rahel Guggisberg

PDF  Keine Diagnosen im Arbeitszeugnis  

Brücke bauen – statt Codes

Organisator, das Magazin für KMU
Arbeitszeugnisse: Brücke bauen - statt Codes

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